In der F.A.Z. gibt es einen guten Gastbeitrag von Bernhard Schlink: Die Kirchen haben schon verloren
[…] Dass, wenns Erfolg verspricht, verzerrt und entstellt und gelogen wird, wird unter dem Gesetz des politischen Kampfs nicht geahndet. Alle tun es, alle wissen es, alle dulden es. So ist die politische Welt, und so funktionieren die, die in ihr agieren. Die Bürger wissen, was sie davon zu halten, was sie aus politischen Äußerungen heraus- und was sie in sie hineinzulesen haben.
Von den Kirchen erwarten sie etwas anderes. Sie mögen die Äußerungen der evangelischen Kirche zu den verschiedensten gesellschaftlichen Problemen manchmal beliebig und die Punkte, an denen die katholische Kirche auf das Bekenntnis verpflichtet, manchmal befremdlich finden. Aber sie nehmen, was die Kirchen sagen und tun, doch gerne als etwas wahr, das aus einer anderen Substanz lebt und von einer anderen Integrität ist als das Geschäft der Politik. Diese Wahrnehmung speist das gesellschaftliche Vertrauen in die Kirchen und die gesellschaftlichen Erwartungen an sie.
Die Kirchen haben ihre Integrität beschädigt
[…] Die Kirchen können sich darum bemühen. Sie sind den Problemen der Welt ausgesetzt, denen alle ausgesetzt sind, aber sie können sie anders lösen. Sie können nicht vermeiden, Konflikte auszuhalten und auszutragen, aber sie können es besonders fair tun. Sie können nicht darauf verzichten, Arbeitgeber zu sein, aber sie können ihren Arbeitnehmern besonders solidarisch begegnen. Sie können sich in finanziellen Notlagen der Notwendigkeit, umzustrukturieren und umzuorganisieren, nicht entziehen, aber sie können besondere Sensibilität für die Betroffenen zeigen. Sie mussten sich nicht auf den politischen Kampf um den Religionsunterricht einlassen. Als sie es gleichwohl taten, mussten sie nicht so kämpfen, wie sie es tun. Vielleicht mussten sie plakativ argumentieren, Komplexes schlicht, Schwieriges einfach und die Position des Gegners grob darstellen. Aber sie mussten nicht verzerren, nicht entstellen, nicht lügen. Sie konnten zeigen, dass sie in dieser Welt doch nicht ganz und gar von dieser Welt sind.
Sie haben es nicht getan und damit nicht nur Vertrauen verspielt, sondern ihre Substanz und ihre Integrität beschädigt. Selbst wenn die Kirchen den politischen Kampf noch gewinnen sollten, haben sie schon verloren.
Dazu passt gut ein Artikel in der Neuen Westfälischen heute: „Nächstenliebe und die Gesetze des Marktes“:
[…] Kaum ein Diözesancaritasverband oder eine Einrichtung der Diakonie, die nicht eine eigene Service-GmbH zur Aushebelung des kirchlichen Tarifrechts gründete. Leiharbeit und ihre in Hirtenbriefen oder Synoden kritisierten Missstände hielten munter Einzug in den kirchlichen Einrichtungen. Die Begründungen klangen und klingen stets gleich. Landesdiakoniepfarrer Günther Barenhoff: „In vielen Bereichen sind diakonische Anbieter mit Tarifen des öffentlichen Dienstes nicht mehr wettbewerbsfähig.“
Freie Anbieter sehen dies Problem anders. Sie machen bei kirchlichen Trägern eine Doppelstrategie aus: Auf der einen Seite gewähren Diakonie und Caritas ihren Mitarbeitern kein Streikrecht, auf der anderen Seite aber würden die Entgelte ständig gedrückt. Das grenze an unlauteren Wettbewerb, heißt es. Noch hinter vorgehaltener Hand.
Von Doppelmoral und einem Glaubwürdigkeitsproblem sprechen kirchliche Mitarbeiter. Bischöfe und Präsides beklagen die soziele Kälte im Lande und geißeln gierige Manager. Gleichzeitig würden aber auch die eigenen Mitarbeiter zunehmend schlechter bezahlt.
Die Kirchen verraten gerade einmal wieder die Werte, als deren Erfinder sie sich bzw. sie den von ihnen propagierten Gott ausgeben. Statt sich z.B. für Tarifverträge, für Mindestlohn einzusetzen, sprechen sie sich dagegen aus.
Eigentlich müssten Millionen Christen auf die Straße gehen und gegen diesen Verrat der eigenen Werte protestieren. Es sind allerdings nur wenige, wie z.B. hier. Alle Achtung vor denen.
All das zeigt einmal mehr, Religion und Kirchen sind keine Garanten für Ethik. Und ein – sehr wahrscheinlich nicht existentes – göttliches Wesen ist es auch nicht.
Wenn wir eine lebenswerte, möglichst gerechte Welt möchten, müssen wir Menschen das schon selbst in die Hand nehmen, eine allgemein verbindliche Ethik entwickeln, vermitteln und vor allem auch anwenden. Und ein erster wichtiger Schritt dahin ist ein verbindlicher, gemeinsamer Ethikunterricht für alle an unseren Schulen.
Und wieder einmal müssen wir dies wohl – leider – gegen den Widerstand der Kirchen tun.
Die freiheitlich-demokratischen Ideale und Werte, die sich jetzt auch im Grundgesetz finden, wurden während der Aufklärung gegen die sich auf Gott und Bibel berufenden Kirchen durchgesetzt. Und weder der Gott Jahwe des Alten Testaments noch der Vater Jesus Christi, noch beide in einer Person, noch Allah vertreten die Werte unseres freiheitlich-demokratischen Staates. Sie müssen sie erst noch erlernen.
(Gerd Lüdemann, Theologieprofessor)
Es ist ja bald Zeugniszeit, im Fall der Kirchen würde ich da sagen: Mal wieder nix dazu gelernt, setzen, sechs.
P.S. Ach ja, das war nun Teil 6 meiner kleinen Reihe „Christliche Werte“ …