Ich hätte wirklich nie, nie gedacht, dass ich eines Tages einem Peter Gauweiler dankbar sein werde. Nun ist es soweit.
Dass es soweit gekommen ist, zeigt, wie weit unsere „Regierung“ es gebracht hat, nein, um dieses „wie weit“ zu beschreiben, fehlen mir wirklich die Worte …
Aus der Süddeutschen Zeitung:
Auf zum letzten Gefecht – diesmal in Karlsruhe
Der CSU-Bundestagsabgeordnete Gauweiler will mit einer Verfassungsklage das Inkrafttreten des EU-Reformwerks verhindern – mit der Entscheidung urteilt das Bundesverfassungsgericht auch über seine eigene Entmachtung. […]
Peter Gauweiler ruft eine Instanz zu Hilfe, die ein letztes, ein allerletztes Mal die Kompetenz hat, in die europäischen Dinge einzugreifen – das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
Der Vertrag von Lissabon, der Vertrag also, gegen den Gauweiler klagt, nimmt nämlich dem Gericht diese Kompetenz. Die Klage, die seit Freitagmittag in Karlsruhe liegt, ist für dieses Gericht also die letzte Chance, seine eigene Entmachtung zu verhindern. Vorderhand wird das höchste Gericht darüber entscheiden müssen, ob sich die Bundesrepublik, ohne das Volk zu fragen, in einem europäischen Bundesstaat auflösen darf wie ein Stück Zucker im Kaffee. […]
328 Seiten lang ist die Klageschrift, die der Nürnberger Ordinarius Karl Albrecht Schachtschneider erstellt hat; beigepackt ist ein hochkritisches 125-seitiges Gutachten über den „Vertrag von Lissabon und das Grundgesetz“, das Gauweiler von Dietrich Murswiek, Freiburger Professor für Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht, hat ausarbeiten lassen.
Es handelt sich um schwergewichtige juristische Argumentation. Schachtschneiders Gedankengang kennt man partiell schon aus seiner Klageschrift gegen die EU-Verfassung: Er beklagt die Entstaatlichung Deutschlands, die Reduzierung des Grundrechtsschutzes und eklatante Demokratiedefizite. Murswiek stützt das alles mit furiosen Ausführungen, die das Klagerecht Gauweilers unter anderem auf Artikel 20 Absatz 4 des Grundgesetzes stützen.
In diesem Artikel ist das sogenannte Widerstandsrecht formuliert: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“. Dieses Recht „auf andere Abhilfe“ fordert der Wissenschaftler beim höchsten deutschen Gericht ein.
Murswiek beruft sich dabei nicht auf das Widerstandsrecht als solches, sondern auf das diesem „vorgelagerte Recht auf Unterlassung von Handlungen, die eine Widerstandslage herbeiführen“ […]
Vor allem aber kann sich Gauweilers Klage auf das Urteil des höchsten Gerichts zum Maastricht-Vertrag stützten; mit diesem Vertrag war unter anderem der Euro erschaffen worden.
Damals, im Jahr 1993, hatte das Gericht ein Urteil gesprochen, das so ähnlich klang wie „Bis hierher und (ohne Volksabstimmung) nicht weiter“ – und sich die Kontrolle über „ausbrechende Rechtsakte“ der EU vorbehalten. Diesen Karlsruher Vorbehalt aber erklärt nun der Vertrag von Lissabon für erledigt.
Wenn das Gericht nun gegen diesen Vertrag nicht einschreitet, wäre das die Zustimmung zu seiner juristischen Kastration. In Karlsruhe steht ein deutsch-europäischer High Noon bevor. […]
Um es noch mal ganz klar zu sagen: Es geht darum, ob unser Bundesverfassungsgericht die Kompetenz genommen wird, dem Grundgesetz Vorrang vor dem EU-Recht zu verschaffen. Es geht um unsere Souveränität, es geht um unsere Demokratie.
Unsere Regierung, Bundestag und Bundesrat, haben dieser Kastration des Bundesverfassungsgerichtes, unserer Souveränität und Demokratie bereits zugestimmt. Aus meiner Sicht ist das ein Putsch. Ein eiskalter Putsch gegen unsere Verfassung.
Wenn schon niemand aus der Regierung (was schlimm, unbeschreiblich schlimm genug ist), so müsste wenigstens die „Opposition“ Mord und Zeter schreien. Aber nichts. Nur einer sagt was …
Mehr Infos auf der Homepage von Peter Gauweiler (Vertrag von Lissabon). Dort findet sich auch die Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse des Rechtsgutachtens von Professor Dr. Dietrich Murswiek.
+++ Update +++
Die Klage ist jetzt auch als PDF abrufbar.
Nur mal ein kleines Beispiel, wie das mit dem EuGH läuft, jetzt schon läuft. Wie das nach gelungener, oben beschriebener Kastration läuft, kann man sich dann ganz leicht selbst weiter ausmalen, ich befürchte, da werden dann auch ganz leicht unsere kühnsten Albträume übertroffen.
Soziale Grundrechte in der EU gefährdet (Berliner Zeitung):
„Die jüngste Rechtsetzungspraxis des EuGH zeigt unmissverständlich, wie dringend notwendig es ist, die soziale Dimension des europäischen Integrationsprozesses zurückzugewinnen“. Es gehe es „um die Verteidigung von Kernnormen unserer Verfassung“. […]
Bsirske verweist in seinem Schreiben darauf, dass Artikel 1 des Grundgesetzes die Menschenwürde für unantastbar erklärt. „Der EuGH hingegen“, so der Verdi-Chef, „stellt diese Kernnorm unserer Verfassung zur Disposition und erklärt, dass sie im Lichte der Dienstleistungsfreiheit ihre Grenze finde durch das Recht auf Lohndumping.“ […]