Die Frage treibt ja nicht gerade nur mich immer wieder um: Warum sind es eigentlich so wenige, die z.B. gegen Schäubles Pläne aufbegehren, warum zeigen Umfragen bei der Mehrheit Zustimmung?
In der Süddeutschen gibt es dazu ein interessantes Interview mit Thomas Kliche, Politologe und Psychologe am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Mitglied im Forum Friedenspsychologie und Leiter der Sektion Politische Psychologie im Bundesverband der Psychologen: „Schäuble-Taktik im Psycho-Test – Sicherheitsgefühl ist das Kernprodukt der Politik“
sueddeutsche.de: Herr Kliche, wenn Innenminister Schäuble Terrorverdächtige töten lassen oder ihnen die Nutzung von Handy und Internet verbieten will, dann mag das unvernünftig und unsinnig sein. Dennoch sind solche Ideen mehrheitsfähig. Woran liegt das?
Thomas Kliche: Damit solche Vorschläge auf fruchtbaren Boden fallen, müssen bestimmte Grundbedingungen gegeben sein, die in Deutschland jetzt vorherrschen und in sich paradox sind. Es gibt in weiten Bevölkerungsteilen eine Stimmung, die geprägt ist von Resignation und Perspektivlosigkeit. Das Ergebnis ist Misstrauen in die Politik, was schnell Desorientierung zu Folge hat.
sueddeutsche.de: Und das können forsche Politiker wie Schäuble ausnutzen?
Kliche: Sagen wir so: Desorientierung kann umschlagen in einen Wunsch, von der Politik starke und klare Lösungen präsentiert zu bekommen.
[…] es gibt in der Bevölkerung einen großen und soliden Anteil autoritätsgläubiger Persönlichkeiten. Das sind Menschen, die zu Unterwürfigkeit erzogen sind, die an das Prinzip der Stärke glauben und Schwäche verachten. Es reicht, wenn die Gemäßigten resignieren und verstummen. Dann können sich die autoritären Menschen durchsetzen.
[…] Nehmen Sie die Innere Sicherheit: Politische Soziologie und Politische Psychologie sprechen seit Jahren davon, wie dieses Thema von vielen staatlichen Akteuren als Bühne ihrer Inszenierung genutzt wird. Das nimmt derzeit relativ absurde Formen an. Wenn Sie so wollen, befinden wir uns jetzt an der Stelle des Stückes, wo die Akteure mit ihren Säbeln rasseln. Nichts anderes ist es, wenn man Tornados über Demonstranten hinwegfliegen lässt – eine Aktion, die weder die Sicherheit erhöht, noch angemessen, noch vernünftig ist. Aber laut und sichtbar. […]
sueddeutsche.de: Welche Rolle spielt Angst in dem Spiel?
Kliche: Ein sehr große. Angst ist ein zentrales Motiv. Wer verspricht, Angst beschwichtigen zu können, der hat gute Karten.
[…] Wir entwickeln eine Wagenburg-Mentalität, mauern uns ein. Wir haben Angst vor den Konsequenzen unserer eigenen Schuld. Das macht es Politikern so leicht, Europa zu einer Festung mit möglichst undurchlässigen Grenzen auszubauen. […]
sueddeutsche.de: Wie kommen wir da raus?
Kliche: Es müssten Ereignisse eintreten, die unsere Kontrollillusionen und die Delegation von Angstbewältigung an die Politik tiefgreifend erschüttern. Wir brauchen Erfahrungen, die die Menschen daran erinnern, dass auch Freiheit, Gemeinschaftlichkeit und sozialer Friede unschätzbare Gemeingüter sind, die man täglich aktiv leben sollte.
Ich hoffe sehr, solche Ereignisse treten bald, sehr bald ein …