Unter dieser Überschrift findet sich in der Süddeutschen Zeitung ein lesenswerter Kommentar von Heribert Prantl.
Das Recht der inneren Sicherheit in Deutschland ist gekennzeichnet vom Verlust der Maßstäbe und von der Veralltäglichung der Maßlosigkeit.
Bezeichnend dafür ist auch der ungeheuerliche Verdacht, dass staatliche Gewaltaufwiegler, Zivilpolizisten in schwarzer Maskerade, sich unter die Demonstranten von Heiligendamm gemischt, sie zu Straftaten angestiftet und zu diesem Zweck Steine auf die Polizei geworfen haben sollen.
Es handelt sich bei solchen Cochonnerien leider nicht einfach um Entgleisungen. Hier verdichtet sich der Ungeist, der die Politik der inneren Sicherheit beherrscht. So sieht es aus, wenn der Zweck die Mittel heiligt: Dann wird die Absurdität ein Merkmal der Repression, und der Irrwitz ein Instrument der Prävention; dann wird der Rechtsstaat partiell ausgeschaltet, um ihn auf diese Weise angeblich zu schützen. […]
Warum ist das so? Weil die rechtsstaatlichen Fundamente weich geworden sind. Was dem Staat vor Jahren noch verboten war, ist ihm heute durch Gesetz geboten. […] Und was heute noch nicht zum juristischen Alltag gehört, wird gleichwohl praktiziert, um es dann, wie die Erfahrungen zeigen, morgen auf den gesetzlichen Alltag auszudehnen.
Das Bundesverfassungsgericht wird von dieser Sicherheitspolitik betrachtet wie ein komischer Heiliger, der, hoch oben auf der Säule, Weltfremdes predigt. Soeben hat das höchste Gericht, in einer Mischung aus Ohnmacht und Verzweiflung, eine Mahnung an alle Staatsgewalten gerichtet: ,,Der hoheitliche Eingriff bedarf der Rechtfertigung, nicht aber benötigt die Ausübung des Grundrechts eine Rechtfertigung‘‘. Dieser eigentlich selbstverständliche Grundsatz wurde nicht nur in Heiligendamm missachtet, wo das Sicherheitskonzept dem friedlichen Protest ,,keine Verwirklichungschance‘‘ ließ (so das Bundesverfassungsgericht). […]
Der Staat dreht hier die Beweislast um: Für ihn gilt der Eingriff ins Grundrecht als Normalität, und der Bürger, der sich dagegen verwahrt, als missliebig und verdächtig.
Die Totalprotokollierung der Telekommunikation ist das jüngste Exempel: […] Die Vertraulichkeit, auf die alle Berufe in Medizin, Kirche, Recht und Journalismus angewiesen sind, ist nicht mehr gewährleistet.
[…] Seit 2006 ist beim EU-Gerichtshof eine Nichtigkeitsklage anhängig; der Gesetzgeber hat den Ausgang dieser Klage nicht abgewartet. Und er hat das Votum des Verfassungsgerichts, das im Volkszählungsurteil eine Speicherung von Daten auf Vorrat verboten hat, als irrelevant betrachtet. […]
Der Rechtsstaat hat kaum noch politische Hüter. Das Bundesverfassungsgericht steht als Wächter der Grundrechte fast so allein wie einst Roland im Tal von Ronceval. Das höchste Gericht braucht engagierte Streithelfer: Es braucht Bürger, die sich den Abbau des Rechtsstaats nicht mehr gefallen lassen; es braucht Bürger, die trotz alledem, wie in Heiligendamm, für ihn und eine andere Politik friedlich demonstrieren.
(Hervorhebungen durch mich.)
Ja, das brauchte es. Meine persönliche Erfahrung ist hingegen doch, dass es kaum jemand interessiert. Ich ernte meist nur Sprüche wie: „Was hast du denn?!? Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten!“
Dazu fallen mir zwei schöne Zitate ein, die aktuell wie nie sind:
Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren. (Benjamin Franklin)
Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte. (Martin Niemöller)
Was gehen mich Ausländer an? Demonstranten? Geschichte wiederholt sich … wenn man sich weigert, aus ihr zu lernen.