Liebesarbeiter – Beruf mit Zukunft?

Aus: Zehentbauer/Rott: Das Liebe Prinzip:

Beruf mit Zukunft – Liebesarbeiter

Die russischen Soziologen Nikolai Kondratieff und Leo Nefiodow haben festgestellt, dass sich das Industriezeitalter (seit 1780) in mehrere Konjunkturzyklen einteilen lässt (von der Erfindung der Dampfkraft über die Eisenbahn bis zur Informationstechnologie); am Ende eines jeweiligen Zyklus verbreitet sich Massenarbeitslosigkeit. Die Informationstechnologie des derzeitigen Zeitalters verliert – nach Nefiodow – langsam ihre zentrale Bedeutung und wird wie die Eisenbahn zur Selbstverständlichkeit; die millionenfach freiwerdenden Arbeitskräfte sollen dann einem neuen Zyklus zur Verfügung stehen. Nefiodow sieht als neue Epoche die ganzheitliche Gesundung von Mensch und Natur und die Mobilisierung psychosozialer Potenziale, die überdies das derzeitig unerträgliche Nord-Süd-Gefälle zwischen Reich und Arm nivelliert.

Ein vom ehemaligen russischen Präsidenten Michail Gorbatschow einberufener internationaler Expertenkongress kam 1997 zu ähnlich überraschenden Ergebnissen. Derzeit wird die Versorgung der Menschen (in den westlichen Ländern) mit lebensnotwendigen Gütern (Nahrung, Kleidung, Wohnung, Verkehr usw.) von ca. 60 Prozent der Arbeitsfähigen erledigt; im Laufe der nächsten 25 Jahre werden für die gleiche Arbeit (dank zunehmender Computerisierung usw.) maximal 20 Prozent der arvbeitsfähigen Menschen gebraucht werden. Die millionenfach übrig bleibenden arbeitsfähigen Menschen sollten nicht für „arbeitslos“ erklärt werden, sondern sich freuen, dass sie zwar weniger Geld, aber mehr Zeit haben, und vor allem sozial dringende Aufgaben übernehmen. Kommunikation mit alten Menschen, Unterstützung von Familien mit Kindern, Integrationsarbeit bei Zuwanderern, Versöhnung (Re-Humanisierung) bei politischen wie betrieblichen Konflikten in Firmen usw., Motivierung von Teams und Einzelnen für sozial sinnvolle Aufgaben, ökologische Neu-Orientierung, Beratung in der Lebensgestaltung, Hilfe bei Not und Schicksalsschlägen, wirtschaftlich-persönliche Austauscharbeit mit der Dritten Welt, Aufbau internationaler Solidarität und Organisation des Ausgleichs zwischen Reich und Arm – mit all diesen Aktivitäten wird die Liebe auf Erden vermehrt.

Die Liebesarbeiter haben viel zu tun!

Das mag auf den ersten Blick nach utopischem „Wir haben uns alle lieb … piep piep“- Eso-Geschwafel klingen 😉 – aber ich denke, es zeigt sehr gut den Scheideweg, an dem wir stehen.

Da ist zum einen die Welt, auf die wir gerade nicht nur zusteuern, die wir zu einem guten Teil bereits verwirklicht haben: Geld / Profit regiert alles, genießt höchste Priorität, ihm wird alles, wirklich alles untergeordnet, Ethik insbesondere. Einige wenige sind die – finanziellen – Gewinner. Die große, bei weitem überwiegende Mehrheit sind die Verlierer. Sie schlagen sich mit zig unterbezahlten Jobs durch, mit – wenn überhaupt – minimalen Rechten und mästen so die Gewinner weiter, oder leben von Almosen, für deren Erhalt sie jede Würde abzugeben haben, sich bis in intimste private Angelegenheiten überwachen und maßregeln lassen müssen. Damit die durch dieses System geförderte Unzufriedenheit, Aufstände, Kriminalität, Verwahrlosung auf allen Ebenen usw. kontrolliert werden können, ist umfassende, allgegenwärtige Überwachung bis in die letzte Ecke notwendig.

Ich übertreibe? Du Träumer…

Zum anderen ist da die Welt, die ich meine „Jeder gibt, was er vermag, und bekommt, was er braucht“-Welt nenne. Ansätze dazu sehe ich z.b. im IT-Bereich in der Open Source-Gemeinde. Oder auch im Bereich der ehrenamtlichen Arbeit. Oder in der Findhorn-Community … oder … man entdeckt so manches schöne Beispiel, wenn man sich erst mal auf die Suche macht. In dieser Welt kommt z.B. der Gewinn, den Maschinen erwirtschaften, allen zugute. Z.B. in Form eines bedingungslosen Grundeinkommens, das jeder erhält, das gut ausreicht, den Unterhalt für ein menschenwürdiges Leben abzudecken. In Form von sozialen / kulturellen Einrichtungen usw.

Und nein, ich bin kein Kommunist etc. Natürlich gibt es in dieser Welt Privateigentum und auch Reiche, Menschen, die mehr Vermögen als andere besitzen. Dagegen ist nichts einzuwenden, sofern es Gegenwert von ethisch vertretbarem Engagement ist, auf einem Mehr an Arbeit z.b. beruht, angemessen im Verhältnis zum Einsatz ist, und nicht auf Ausbeutung, Betrug & Co. basiert.

So fragt Heiner Geißler, neuerdings auch Mitglied bei Attac: „Wo bleibt Euer Aufschrei?“ (Die Zeit, 2004)

In der globalen Wirtschaft herrscht die pure Anarchie. Die Gier zerfrisst den Herrschern ihre Gehirne. Ein Wutanfall

Nicht das Gespenst des Kommunismus, vielmehr die Angst geht um in Europa – gepaart mit Wut, Abscheu und tiefem Misstrauen gegenüber den politischen, ökonomischen und wissenschaftlichen Eliten, die ähnlich den Verantwortlichen in der Zeit des Übergangs vom Feudalismus in die Industriegesellschaft offensichtlich unfähig sind, die unausweichliche Globalisierung der Ökonomie human zu gestalten.

Unter Berufung auf angebliche Gesetze des Marktes reden sie vielmehr einer anarchischen Wirtschaftsordnung, die über Leichen geht, das Wort. 100 Millionen von Arbeitslosigkeit bedrohte Menschen in Europa und den USA und 3 Milliarden Arme, die zusammen ein geringeres Einkommen haben als die 400 reichsten Familien der Erde, klagen an: die Adepten einer Shareholder-Value-Ökonomie, die keine Werte kennt jenseits von Angebot und Nachfrage, Spekulanten begünstigt und langfristige Investoren behindert. Sie klagen an: die Staatsmänner der westlichen Welt, die sich von den multinationalen Konzernen erpressen und gegeneinander ausspielen lassen. Sie klagen an: ein Meinungskartell von Ökonomieprofessoren und Publizisten, die meinen, die menschliche Gesellschaft müsse funktionieren wie DaimlerChrysler, und die sich beharrlich weigern, anzuerkennen, dass der Markt geordnet werden muss, auch global Regeln einzuhalten sind und Lohndumping die Qualität der Arbeit und der Produkte zerstört. […]

Wo bleibt der Aufschrei der SPD, der CDU, der Kirchen gegen ein Wirtschaftssystem, in dem große Konzerne gesunde kleinere Firmen wie Kadus im Südschwarzwald mit Inventar und Menschen aufkaufen, als wären es Sklavenschiffe aus dem 18.Jahrhundert, sie dann zum Zwecke der Marktbereinigung oder zur Steigerung der Kapitalrendite und des Börsenwertes dichtmachen und damit die wirtschaftliche Existenz von Tausenden mitsamt ihren Familien vernichten? Den Menschen zeigt sich die hässliche Fratze eines unsittlichen und auch ökonomisch falschen Kapitalismus …Der gerechte, aber hilflose Zorn der Lohnempfänger richtet sich gegen die schamlose Bereicherung von Managern, deren »Verdienst«, wie sogar die FAZ schreibt, darin besteht, dass sie durch schwere Fehler Milliarden von Anlagevermögen vernichtet und Arbeitsplätze zerstört haben.

Das Triumphgeheul des Bundesverbandes der Deutschen Industrie über die Billiglohnkonkurrenz aus dem Osten noch in den Ohren, müssen marginalisierte und von der Marginalisierung bedrohte Menschen sich vom politischen und ökonomischen Establishment als Neonazis und Kommunisten beschimpfen lassen, wenn sie radikale Parteien wählen, weil es keine Opposition mehr gibt und sie sich mit einer Großen Koalition konfrontiert sehen, die offensichtlich die Republik mit einem Metzgerladen verwechselt, dass das Blut nur so spritzt, anstatt durch Bürgerversicherung und Steuerfinanzierung die Löhne endlich von den Lohnnebenkosten zu befreien. Nur Dummköpfe und Besserwisser können den Menschen weismachen wollen, man könne auf die Dauer Solidarität und Partnerschaft in einer Gesellschaft aufs Spiel setzen, ohne dafür irgendwann einen politischen Preis bezahlen zu müssen. […]

Der Tanz um das Goldene Kalb ist schon einmal schief gegangen.

Die ehemalige First Lady von Frankreich, Danielle Mitterand, sagte 80-jährig in einem Spiegelinterview (2005):

Ich prangere die Macht der Wirtschaft über den Menschen an, ein System, das im Einzelnen nur einen ökonomischen Faktor kennt, die Armen nicht respektiert und jeden ausschließt, der nicht dem Gesetz der Rentabilität entspricht […] Wir sollten neu über die Aufgabe Europas und seine Modellfunktion nachdenken: Frieden, gerechte Konfliktlösung, Solidarität mit den Schwachen – statt Wettbewerb, Konkurrenz und Bereicherung.

Wo stehen wir?

Menschen, die sich für eine gerechtere Welt einsetzen, müssen sich wie Verbrecher behandeln lassen, während die, die sich wie z.B. jetzt in Heiligendamm beim G-8-Gipfel dagegen engagieren durch Unmengen Einsatz an Steuergeldern in Form von riesigen Polizeiaufgeboten, schweren Zäunen, massiven Überwachungsmaßnahmen und Demonstrationsverboten geschützt werden. Menschen, die vor einem weiteren Ausbau zum Überwachungsstaat, zum Präventivstaat warnen, müssen über sich im Verfassungsschutzbericht 2006 lesen, dass sie „Linksextremisten“ sind:

Linksextremisten werten die Verschärfung der Sicherheitsgesetze nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 als eine neue Qualität „staatlicher Repression“. Sie nehmen auch die Sicherheitsmaßnahmen […] zum Anlass, den aus ihrer Sicht permanenten Ausbau des Überwachungsstaates und die repressive Wirkung der dabei eingesetzten neuen Technologien anzuprangern, wie z. B. RFID-Chips, Gen- oder Biometrische Datenbanken, Kameraüberwachung öffentlicher Plätze.

Was kann man tun?

Vieles. Sich in Organisationen wie Attac organisieren ist das eine. Aber es sind nicht nur die „großen“ Dinge. Wie sangen wir früher mit Heinz Rudolf Kunze? Das weiche Wasser bricht den Stein…

Das ist aktuell wie eh und je. Es sind die kleinen Dinge, die eigentlich die großen sind. Um schlussendlich auf das Thema Liebesarbeiter zurückzukommen, was jeder von uns überall und jederzeit tun kann, ist eine unserer außergewöhnlichen menschlichen Fähigkeiten einsetzen: Emotionale Intelligenz (EQ). Mit ihr können wir den unwirtlichsten Ort in ein warmes Licht tauchen. Am Arbeitsplatz, in der Familie, im Freundeskreis, Verein … etc. pp. – egal ob wir ganz oben oder ganz unten in welcher Hierarchie auch immer stehen. Einfach nicht mitmachen beim Mobben, Ellenbogenstechen… Der Gier, der Unmenschlichkeit etc. Liebe und Solidarität entgegensetzen. Eine leise, friedliche Revolution von unten, innen – im Stile eines Ghandi …

Martin Buber schrieb in einem Aufsatz 1919:

Was habe ich zu tun? – Du sollst dich nicht vorenthalten … Du sollst helfen. Jeder Mensch, der dir begegnet, bedarf der Seelenhilfe … Du sollst in den anderen die Hilfsbedürftigkeit, in dir die Hilfsfähigkeit erwecken. Auch wenn du selber bedürftig bist – und du bist es -, kannst du anderen helfen und, indem du es tust, dir selber.

Meine Oma sagte:

Alles was du tust, kommt zu dir zurück, Schlechtes wie Gutes, denn die Welt ist rund …

Und eines meiner Lieblingszitate aus irgendeinem weisen buddhistischen Buch 😉 lautet:

Ein Weiser wurde gefragt, welches die wichtigste Stunde sei, die der Mensch erlebt, welches der bedeutendste Mensch, der ihm begegnet, und welches das notwendigste Werk sei. Die Antwort lautete: Die wichtigste Stunde ist immer die Gegenwart, der bedeutendste Mensch ist immer der, der dir gerade gegenübersteht, und das notwendigste Werk ist immer die Liebe.

Bei aller Liebe bin ich auch sehr wütend. Ja und ihr mögt mich ja eine Fantastin, Spinnerin etc. nennen, das sag ich mir selbst auch oft genug. Aber was ist die Alternative? Habt ihr euch die wirklich schon mal ausgemalt? Wollt ihr in der wirklich leben? Wollt ihr, dass eure Kinder in der leben? Ich nicht …