In der aktuellen Ausgabe der „U_mag“ (11/06) gibt es unter dem Schwerpunktthema „Meinungsfreiheit“ ein Interview mit Dr. Michael Schmidt-Salomon (Vostandssprecher der Giordano Bruno Stiftung), das auch im Internet nachzulesen ist. Zitate daraus:
Schmidt-Salomon: Unsere Verfassung definiert so etwas wie eine „Leitkultur Humanismus und Aufklärung“. Wir haben Rechte, die als unveräußerlich gelten. Dazu zählen die fundamentalen Freiheitsrechte wie die Meinungsfreiheit, die Kunstfreiheit, die Religionsfreiheit, die Pressefreiheit. Daran muss sich jede Weltanschauung halten, auch jede Religion. …
Es ist notwendig, dass wir für die Werte, die im Prozess der Moderne erkämpft wurden, auch entschieden eintreten. Jeder Schritt zurück ist eine Verstärkung dieser Borniertheitsreaktion, wie wir sie beim Karikaturenstreit gesehen haben. Und dadurch werden die fundamentalen Freiheiten, die wir in dieser Gesellschaft genießen, Stück für Stück unterhöhlt. Das gilt auch für den Unterricht. Wir haben Schulen, die nicht nur auf den ethischen Standards beruhen, sondern auch auf wissenschaftlichen Standards: Bildung bedeutet, dass wir den Menschen vermitteln, was wir heute über die Welt wissen. Da darf man auch nicht mit Rücksicht auf die verletzten Gefühle einzelner Gruppierungen das Bildungsprogramm zurückfahren. …
In einer modernen Gesellschaft kann es keine Praxis sein, dass einige Menschen ihre Aussagen als unantastbar und heilig darstellen, denn alles muss überprüft, muss verbessert werden können. Das ist eine Grundlage der technischen Entwicklung. Heute aber läuft das einfach auseinander. Einerseits nutzt man irgendwie diese Prinzipien der permanenten Verbesserung auf technischer Ebene, auf der weltanschaulichen Ebene aber passiert das nicht. Deswegen haben wir diese merkwürdige Diskrepanz in unserer Zeit, diese Zeit der Ungleichzeitigkeit, dass wir einerseits im 21. Jahrhundert stehen, was das technische Know-how betrifft, aber bezogen auf die Weltanschauung eben häufig auf archaische Mythen zurückgreifen. Da verhalten wir uns wie Fünfjährige, denen die Verantwortung für einen Jumbojet übertragen wurde. Wer die Früchte der Aufklärung benutzt, dazu zählen rechtsstaatliche Freiheitsgarantien oder die technologische Entwicklung, der muss diese Prinzipien auch auf seine eigene Weltanschauung anwenden. …
Wir müssen uns klar machen, was religiöse Gefühle überhaupt sind und warum sie verletzt sind. Es hat was damit zu tun, dass hier Menschen sind, die meinen, dass das, was der Prophet XY oder die Gottheit Z gesagt hat, heilig ist und unantastbar für alle Zeiten. In einer säkularen Gesellschaft ist das aber nicht so. Da treten Leute auf, die sagen: Ich stimme dem, was XY gesagt hat, nicht zu! Damit wird das Unantastbare angetastet. Es kommt also nur zur Verletzung religiöser Gefühle, weil manche glauben, sie könnten ihre Weltanschauung unter Denk-mal-Schutz stellen. … Ich würde wirklich so weit gehen, einen Appell an die Menschen zu richten: Lassen Sie Ihre Mitbürger nicht dumm sterben, sondern verletzen Sie religiöse Gefühle, wo Sie nur können! …
U_mag: Ist es nicht auch eine Form von Nichtintegration, wenn man mit Menschen islamischen Glaubens über solche Themen nicht redet?
Schmidt-Salomon:Dadurch wird ja eine Parallelgesellschaft erst aufgebaut. Einerseits werden den Menschen Dinge abverlangt, die sie gar nicht erfüllen können, z. B. dass sie sich einer deutsch-christlichen Leitkultur fügen. Auf der anderen Seite gibt es die kulturellen Relativisten, die sagen: Die sollen doch machen, was sie wollen – innerhalb ihrer Kultur. Beides führt nicht dazu, dass die Menschen hier ankommen. Wir müssen offen in einen Diskurs gehen, wir müssen offen miteinander streiten über das, was richtig und was gut ist. Nur sollte man für seine eigene Position auch kämpfen, solange sie nicht durch bessere Argumente widerlegt ist. Was aber passiert? Die Lehrer finden nichts dabei, wenn das Mädchen nicht mit in den Schwimmunterricht darf. Sie haben nichts dagegen einzuwenden, wenn im Sexualkundeunterricht plötzlich die Hälfte der Klasse fehlt. Da stecken Gleichgültigkeit dahinter, aber auch Ängstlichkeit und das fehlende Wissen um die eigenen Werte. Mit einem Beliebigkeitsdenken kann man dem Fundamentalismus aber nicht entgegentreten.
U_mag: Das hat jetzt aber auch schon mit Zivilcourage zu tun.
Schmidt-Salomon: Auf jeden Fall. Wir brauchen nicht nur kluge Köpfe, sondern auch den Willen zum aufrechten Gang.